Werke für Synthesizer

Musikalische Konzeptionen

Wenn große Komponisten Stücke für bestimmte Instrumente schrieben, so stellten sie meist ihre Kompositionsweise speziell auf die klanglichen und technischen Möglichkeiten dieser Instrumente ab, mit dem Ziel, dass die jeweilige Komposition gerade durch diese oder jene Klangfarbe einen starken und unverwechselbaren Charakter erhalten sollte.

Das Anfangsthema aus Mendelssohns Violinkonzert würde viel von seinem Charme einbüßen, wenn es von der Flöte vorgetragen würden, und Bachs berühmte d-Moll-Toccata klingt auf einer mittelmäßigen Orgel besser -weil unverwechselbar- als von einem noch so guten Streichorchester gespielt.

Die fünf vorliegenden Stücke habe ich im Jahr 1990 allesamt für das Instrument Synthesizer (Yamaha SY77) „geschrieben“ und mit Hilfe des Sequenzer-Programms Cubase 2.0 auf einem Atari 1040ST-Computer realisiert. 

Nach dem Vorbild der großen Komponisten habe ich versucht, in jedem Moment den spezifischen Eigenschaften des Instrumentes, d.h. der Kombination Synthesizer/Sequenzer, Rechnung zu tragen und gleichzeitig dessen Stärken auszustellen. (1990 waren es auch meine ersten Gehversuche im Computerbereich, und man könnte die Stücke auch als „Etüden in MIDI“ bezeichnen.)

In der Tat sind die musikalischen Grundkonzepte aller Stücke so, dass sie sich im Prinzip nur mit elektronischen Musikinstrumenten verwirklichen lassen. Die Klangfarben herkömmlicher Instrumente spielen zwar eine große Rolle, aber im musikalischen Zusammenhang erscheinen sie entweder als Zitat oder verfremdet.

Der Wohltemperierte Synthesizer ist im traditionellen Sinne eine „Transskription für Synthesizer“ des c-Moll-Praeludiums aus Bachs Wohltemperiertem Klavier Bd. I.

Hier habe ich bestimmte formale Aspekte verdeutlicht oder vergrößert, ohne den Notentext selbst zu verändern.

Die 4 Essays für Synthesizer (GENESIS, RUBATO, TIMBRI, RECITATIVO INVANO) sind Eigenkompositionen.

Damit sich in RUBATO und TIMBRI das Ohr besser auf die spezifischen Eigenschaften des Instrumentes konzentrieren kann, kommen beide Stücke -in melodischer und harmonischer Hinsicht- mit minimalem musikalischen Material aus. Aber umso mehr kam es auf dessen Verarbeitung an.

In RUBATO geht es im Prinzip nur um einen, dazu höchst traditionellen Sound -das Klavier-, das sich als MIDI-Instrument allerdings von einer ungewöhnlichen Seite präsentiert: Es ist eine Studie über Veränderungen in Intonation, Rhythmus und Anschlagsdynamik; Melodik und Harmonik bleiben das ganze Stück über unverändert. - Hier habe ich vor allem die Sequenzer-Technik ausgereizt.

In TIMBRI geht es hingegen um verschiedene Klangfarben, genauer: um deren Wechsel. Im traditionellen Sinne würde ich es als Instrumentations-Studie bezeichnen - frei nach dem Motto: Möglichst viel Verpackung von möglichst wenig Inhalt! Es kam also speziell auf den Synthesizer und dessen klangliche Finessen an.

In den beiden Eckstücken GENESIS und RECITATIVO INVANO wollte ich eher den Eindruck von Improvisation vermitteln; das musikalischen Material ist reicher, aber lockerer gefügt.

Herbert Gietzen

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