Für Elise & Für Carmen

Eine kleine Rhapsodie

für

2 Klaviere & 4 Hände

von

Ludwig van Beethoven & Herbert Gietzen

Beide Klavierparts wurden von
Herbert Gietzen nacheinander eingespielt.

Anmerkungen zur Originalkomposition und zu kompositorischen Aspekten des zweiten Klaviers

FÜR ELISE

Bei FÜR ELISE handelt es sich um ein Rondo mit der Form A-B-A-C-A. Der Teil A ist in seiner scheinbaren Simplizität so raffiniert wie genial, und zwar vor allem durch seine ungreifbare, oft wechselnde Periodik.

Das Stück ist durchweg im 3/8-Takt notiert, das Ohr hört aber am Anfang einen vier Achtel langen, dominantischen Auftakt mit den Wechselnoten E-Dis zur Tonika a-Moll im 3/8-Takt. Nach nur drei Takten schon wieder diese Wechselnoten! Soll das Ohr nun auf 4/8 umschalten oder im 3/8 bleiben?

Und so geht es jedes Mal bei diesen Wechselnoten, die die Dominante immer um ein Achtel verlängern und damit die Spannung auf die Tonika erhöhen.

Nach der ersten Wiederholung moduliert es für nur zwei Takte in die parallele Dur-Tonart C-Dur, um gleich wieder nach a-Moll zurückzukehren: mit einem im 4/8-Takt sich nach oben schwingenden E plus zwei weiteren 4/8-Takten mit den Wechselnoten, wodurch die Tonika diesmal extrem verzögert wird. Man hört hier tatsächlich drei 4/8-Takte statt der im Original notierten vier 3/8-Takte.

Die Teile B und C sind von stark gegensätzlichem Charakter und absolut eindeutig bezüglich der Taktschwerpunkte. Entlastend für das Ohr sind auch die Modulationen in die Nebentonarten von a-Moll. Danach ist man dann wieder bereit, sich auf das bekannte asymmetrische Dominant-Tonika-Verwirrspiel der Haupttonart mit den unklaren Taktverhältnissen einzulassen.

Und es gibt noch weitere Ambivalenzen in Teil A: Wenn die Tonika mit dem Einsatz der linken Hand erreicht ist und nur auf der jeweils ersten Note des Taktes Zweistimmigkeit stattfindet, befinden wir uns dann wirklich in einem 3/8-Takt, oder ist es eher ein 6/16-Takt, was die Gruppierung in zweimal 3/16 suggeriert? Gehören die mit der rechten Hand gespielten drei letzten Sechzehntel zur Melodie, oder ist der ganze Takt nur Harmonie in Form eines gebrochenen Akkordes? (Beethoven lässt tatsächlich das Pedal über den ganzen Takt liegen und legt damit Letzteres nahe.) Diese Lesart würde allerdings ein eher flüssiges Tempo bedingen.


FÜR CARMEN

All diese Interpretationsmöglichkeiten haben mich gereizt, die Sache von außen anzugehen: in Form eines zweiten Klaviers, um so die Ambivalenzen innerhalb von FÜR ELISE hörbar zu machen und dabei das Thema, das Beethoven nie variiert, jedes Mal unterschiedlich zu beleuchten. Der Klaviersatz sollte durchaus auch für sich alleine stehen können und gleichzeitig einen dramaturgischen Bogen über das ganze Werk spannen. Damit wird das Schematische der Rondoform stark aufgeweicht, und das Stück erhält insgesamt einen eher rhapsodischen Charakter.

In meiner Bearbeitung für zwei Klaviere bleibt Beethovens Notentext im Prinzip unangetastet.
Allerdings ist der Umgang mit Tempo, Agogik, Phrasierung, Artikulation und Dynamik völlig frei. Und da ich Taktwechsel, Temporückungen und Zäsuren durch die Notation soweit wie möglich präzisieren wollte, weicht das Notenbild in Teilen vom Original ab.

Anmerkung für die Ausführenden

Im Gegensatz zur Komposition, in der sich das zweite Klavier Note für Note auf das erste bezieht, sollen die Interpreten eher den gegenteiligen Eindruck vermitteln: Der Spieler von Klavier II improvisiert frei vor sich hin, wechselt dabei munter Taktarten und Tanzstile und baut auch noch Versatzstücke aus Bizets CARMEN und FÜR ELISE ein. Der Spieler von Klavier I spielt das originale FÜR ELISE, das „wie durch Zufall“ dazu passt. Aber nur, wenn er sich in seinem Spiel den Launen des Improvisators fügt und den eigenen musikalischen Charakter immer wieder wechselt, so wie ein Chamäleon seine Farbe.

Konkret heißt das: Außer in dem nachdenklichen Epilog, wo das erste Klavier die Initiative ergreifen muss, führt grundsätzlich das zweite Klavier.

Bei der ständig wechselnden Phrasierung der gleichen Musik im ersten Klavier gilt es nicht nur die Bindungen und Balkengruppierungen der Noten zu beachten, sondern auch die jeweilige Taktart und wie die Noten auf die beiden Systeme verteilt sind (unteres System = Begleitung; siehe zum Vergleich die Takte 5 und 8 im ersten Klavier).


Persönliches

Wer Beethovens Elise wirklich war, in welchem Verhältnis die beiden zueinander standen und ob es einen bestimmten Anlass für die Schaffung der Komposition gab, wird wohl immer im Dunkeln bleiben.

Bei der Widmungsträgerin des zweiten Klaviers besteht hingegen kein Zweifel über ihre Identität: Sie ist die Herzensdame des Verfassers. Dass die einzigen Fremdzitate ausgerechnet aus CARMEN stammen, ist ihrem Vornamen und dem Anlass geschuldet: Es sind musikalische Geburtstagsgrüße.

Herbert Gietzen

In seinem 9-teiligen, nur auf youtube einsehbarem Corona-Zyklus "Ludwig allein zu Haus" spielt der bekannte und renommierte Pianist Christoph Ullrich im ersten Teil das originale "Für Elise" und im neunten Teil mit seiner Frau Jacqueline Allers-Ullrich "Für Elise & Für Carmen“. 

Der ganze Zyklus war ein höchst origineller Beitrag zum Beethoven-Jahr 2020.

Die Musik beginnt bei 2:14 min.

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